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Polizeiliche Einkesselung am 1. Mai 2009 in Ulm wegen fehlender Auflösung der Versammlung rechtswidrig

Datum: 14.01.2011

Kurzbeschreibung: (Urteil vom 29.11.2010 - 1 K 3643/09) Am 01.05.2009 veranstalteten der DGB und das "Bündnis gegen Rechts" in Ulm eine Kundgebung mit Demonstration (Aufzug) vom Weinhof durch Innenstadtstraßen bis zum Münsterplatz. Vor dem Beginn des Aufzugs, der für 10.30 Uhr vorgesehen war, schloss die Polizei in der Sattlergasse durch zwei Polizeiketten ca. 300 Personen ein, die teilnehmen wollten und die sie dem "Schwarzen Block" zurechnete. Sie ging aufgrund von Informationen davon aus, dass sich diese Personen an die Spitze des Aufzugs setzen und aus ihm heraus Straftaten begehen wollten. Die festgehaltenen Personen wurden ab ca. 15.30 Uhr nach Feststellung ihrer Personalien und nach der Erteilung von Platzverweisen für die Innenstadt Ulms frei gelassen. Der Kläger gehörte zu den betroffenen Personen. Er begehrte mit seiner Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme.

(1 K 363/09) Die Klage hatte Erfolg, weil gegenüber Teilnehmern einer Versammlung Maßnahmen aufgrund des allgemeinen Polizeirechts erst zulässig sind, wenn die Versammlung aufgelöst oder der betroffene Teilnehmer von der Versammlung ausgeschlossen wurde. Hierzu beruft sich die Kammer auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und entschied, die Ingewahrsamnahme des Klägers sei schon deshalb rechtswidrig gewesen, weil nach der Beweisaufnahme durch die Einvernahme von Zeugen nicht festgestellt werden könne, dass er zuvor nach den Vorschriften des Versammlungsgesetzes aus der Versammlung des DGB bzw. aus dessen Aufzug ausgeschlossen worden sei.

Zunächst hatte sich das Gericht mit der Frage zu beschäftigen, ob für die Klage überhaupt der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht eröffnet war. Nach § 28 Abs. 4 Satz 6 PolG ist die Anfechtungsklage und in der Folge auch die Fortsetzungsfeststellungklage beim Verwaltungsgericht ausgeschlossen, wenn eine den Gewahrsam anordnende Entscheidung des Amtsgerichts ergangen ist. Um aufzuklären, welche Entscheidungen am 1. Mai 2009 durch den Bereitschaftsdienst des Amtsgerichts getroffen worden waren, wurden die Richterinnen und Richter des Bereitschaftdienstes u.a. um eine schriftliche Stellungnahme gebeten. Danach habe  - so das Gericht - nur zweifelsfrei festgestanden, dass von ihnen die Anordnung ergangen sei, die Personen aus der Sattlergasse einzeln vorzuführen, um gegenüber jeder einzelnen Person gesondert eine Entscheidung über den Gewahrsam zu treffen. Dies setze zwar das Festhalten dieser Personen voraus, bis die Einzelvorführung erfolgen könne. Darin liege aber noch keine richterliche Entscheidung über den Gewahrsam. Sie werde vielmehr für einen Zeitpunkt nach der Anhörung des Betroffenen vorbehalten. Daher verbleibe es bei der Zulässigkeit des Rechtswegs zum Verwaltungsgericht.

Dass der Kläger an der Versammlung des DGB bzw. an dessen Aufzug habe teilnehmen wollen, sei  zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Veranstaltung habe den Schutz des Art. 8 Grundgesetz genossen und ihn nicht dadurch verloren, dass möglicherweise einzelne Teilnehmer des so genannten „Schwarzen Blocks“ ein Verhalten an den Tag legten, das sie von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz, der nur das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, schütze, ausgeschlossen habe. Ein solches Verhalten habe dem Kläger nach Sichtung des Videomaterials der Polizei nicht vorgeworfen werden können. Seine Ingewahrsamnahme und die der anderen Personen im unteren Bereich der Sattlergasse sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Es seien zwar Situationen denkbar, die es rechtfertigten, dass die Polizei einen Personenkreis festsetze, bevor er aus der Versammlung ausgeschlossen werde, wenn anderenfalls unaufschiebbare notwendige polizeiliche Maßnahmen nicht mehr durchgeführt werden könnten. Rechtmäßig könne dieses Vorgehen aber nur dann werden, wenn der erforderliche Ausschluss aus der Versammlung unverzüglich nachgeholt werde. Dies könne hier aber nicht festgestellt werde. (Bi)

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